Ein neuer Schalter für die Zelltherapie der Zukunft
ETH-Forschende haben einen neuen Genschalter entwickelt, der mit einem handelsüblichen Nitroglyzerin-Pflaster auf der Haut aktiviert werden kann. Mit solchen Schaltern m?chten die Forschenden dereinst Zelltherapien gegen verschiedene Stoffwechselkrankheiten starten.
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In Kürze
- ETH-Forschende arbeiten mit Hochdruck an Zelltherapien, bei denen sie k?rpereigene Zellen gezielt modifizieren, um gest?rte Stoffwechselfunktionen wiederherzustellen.
- Um ver?nderte Zellen zur Bildung von stoffwechselregulierenden Botenstoffen anzuregen, braucht es geeignete biotechnologisch hergestellte Schalter.
- Die Forscher haben nun einen solchen Genschalter entwickelt, der mittels handelsüblichen Nitroglyzerin-Pflastern aktiviert werden kann.
- Eine Zelltherapie auf den Markt zu bringen, ist das Fernziel, wird aber mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen.
Der K?rper reguliert seinen Stoffwechsel jederzeit und sehr pr?zise. So überwachen beispielsweise spezialisierte Zellen der Bauchspeicheldrüse laufend den Blutzuckerspiegel. Steigt dieser nach einer Mahlzeit an, setzt der K?rper eine Signalkaskade in Gang, um den Blutzucker zu senken.
Bei Diabetiker:innen funktioniert diese Regulation nicht mehr optimal. Die Betroffenen haben zu viel Zucker im Blut. Sie müssen ihren Blutzuckerspiegel messen und sich Insulin spritzen, um ihn zu regulieren. Das ist im Vergleich zu dem, was der K?rper leistet, ziemlich unpr?zise.
Zellen mit Spezialfunktionen ausstatten
Martin Fussenegger, Professor für Biotechnologie und Bioingenieurwissenschaften am Departement Biosysteme der ETH Zürich in Basel, und sein Team arbeiten deshalb seit langem an Zelltherapien. Sie sollen es eines Tages erm?glichen, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes individuell und pr?zise zu behandeln oder gar zu heilen.
Und so funktionieren solche Zelltherapien: Die Forschenden modifizieren menschliche Zellen, indem sie ihnen ein Netzwerk von Genen einbauen, das die Zellen mit speziellen F?higkeiten ausstattet. Diese Zellen werden Menschen implantiert, zum Beispiel unter die Haut. Ein spezifischer Reiz von aussen schaltet das Netzwerk an.
Auf einen geeigneten Schalter kommt es an
Dazu haben die Forscherinnen und Forscher in den vergangenen Jahren verschiedene Varianten von Schaltern entwickelt. Manche lassen sich elektrisch steuern, andere mit Licht, einer sogar mit Musik der britischen Rockgruppe Queen (vgl. ETH News).
Nun haben die Basler Forschenden eine weitere Variante entwickelt und in der Fachzeitschrift Nature Biomedical Engineering vorgestellt.
?Diese L?sung ist für mich der beste Genschalter, den meine Gruppe und ich bisher gebaut haben?, betont Fussenegger. Dies, weil sich der Schalter mit Nitroglyzerin, einem seit langem bew?hrten Wirkstoff, ausl?sen l?sst und weil die Anwendung – ein Pflaster auf die Haut kleben – denkbar einfach ist. Entsprechende Pflaster in verschiedenen Gr?ssen kann man schon heute in jeder Apotheke kaufen.
Vom Pflaster aus dringt das Nitroglycerin rasch in die Haut ein und trifft dort auf ein Implantat, das modifizierte menschliche Nierenzellen enth?lt.
Stickstoffmonoxid startet Netzwerk
Diese Zellen fangen das Nitroglycerin gezielt ab. Ein in sie eingebautes Enzym wandelt es in das natürliche Signalmolekül Stickstoffmonoxid (NO) um. NO sorgt im K?rper normalerweise dafür, dass sich die Blutgef?sse erweitern und der Blutfluss verst?rkt wird. Nach wenigen Sekunden wird es bereits abgebaut; NO wirkt daher nur sehr lokal.
Die implantierten Zellen sind so ver?ndert, dass NO dort die Produktion und Freisetzung des Botenstoffs GLP-1 ausl?st, der wiederum die Insulinausschüttung der Betazellen der Bauchspeicheldrüse verst?rkt und so den Blutzuckerspiegel reguliert. Zudem l?st GLP-1 ein S?ttigungsgefühl aus, was die Nahrungsaufnahme reduziert.
Der neue Schalter ist ausschliesslich aus menschlichen Bestandteilen zusammengesetzt, enth?lt also keine Bauteile anderer Arten. ?Das ist bahnbrechend und neu?, sagt Fussenegger. Bei artfremden Komponenten bestehe immer die Gefahr von Fehlschaltungen, Interferenzen mit k?rpereigenen Prozessen oder Immunreaktionen. ?Das k?nnen wir hier ausschliessen.?
Ein ganzes Arsenal von Schaltern entwickelt
Der ETH-Professor hat in den letzten zwanzig Jahren verschiedene Varianten von Genschaltern entwickelt. Einige reagieren auf physikalische Ausl?ser wie Strom, Schallwellen oder Licht. Welcher hat die besten Chancen, dereinst umgesetzt zu werden?
?Physikalische Ausl?ser sind interessant, weil wir dabei keine Moleküle verwenden müssen, die mit k?rpereigenen Vorg?ngen interferieren?, sagt der Biotechnologe. Elektrische Signale seien ideal, um Schalter und Gen-Netzwerke mit tragbarer Elektronik wie Smartphones oder Smartwatches zu steuern. Dann k?nne man auch KI integrieren. ?Ich glaube daher, dass elektrogenetische Zelltherapien die besten Chancen haben, umgesetzt zu werden. Bei den chemischen Schaltern sehe ich die neue L?sung in der Poleposition?, sagt Fussenegger.
Aber: Die Weiterentwicklung solcher Genschalter-basierter Zelltherapien ist komplex und langwierig. ?Um eine Zelltherapie zur Marktreife zu bringen, braucht man Jahrzehnte, viel Personal und ausreichende Mittel?, sagt der Forscher. ?Eine Abkürzung gibt es nicht.?
Bisher hat sich Fussenegger vor allem mit Zelltherapien gegen Diabetes besch?ftigt. Das ist eine der h?ufigsten Stoffwechselerkrankungen weltweit. Jeder zehnte Mensch ist davon betroffen. ?Das ist unsere Modellkrankheit, mit der wir arbeiten. Grunds?tzlich ist es aber auch m?glich, Zelltherapien für andere Stoffwechsel-, Autoimmun- oder auch neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln – im Prinzip für alles, was dynamisch reguliert werden muss.? Viele Medikamente seien wie ein Hammer, mit dem man blind auf ein Problem einschlage. ?Zelltherapien hingegen l?sen das Problem auf eine ?hnliche Weise wie der K?rper?, sagt Fussenegger.
Literaturhinweis
Mahameed M, Xue S, Danuser B, Charpin-El Hamri G, Xie M, Fussenegger M: Nitroglycerin-responsive gene switch for the on-demand production of therapeutic proteins, Nature Biomedical Engineering, 14. Februar 2025, doi: externe Seite 10.1038/s41551-025-01350-7