Der Mann, der tierisches Methan vermindert

Michael Kreuzer, weisses Haar und weisser Bart, spricht mit einem sympathischen bayerischen Akzent. Er wirkt entspannt an diesem heissen Sommernachmittag, wenige Wochen vor seiner Emeritierung. Dann beginnt er zu erz?hlen, und seine Augen gl?nzen lebhaft.

Zittriger Anfang in Z¨¹rich

Zum Beispiel die Anekdote, wie er 1994 als junger Agrarprofessor von G?ttingen an die ETH Z¨¹rich kam. Das Haus war schon gek¨¹ndigt, die Kisten gepackt. Kreuzers Umzug in die Schweiz stand kurz bevor, als er per Fax von den k¨¹nftigen Kollegen erfuhr, dass seine neue Stelle als ETH-Professor auf wackeligen Beinen stand: In Z¨¹rich fieberten und zitterten sie alle, dass der ETH-Rat Kreuzers Berufung doch noch best?tige.

?Ich hatte freilich keine Ahnung, um was es ging?, erinnert sich Kreuzer. Als sich zeigte, dass der Grund lediglich ein Streit zwischen dem Aufsichtsorgan und dem ETH-Pr?sidenten war, trat Kreuzer die neue Stelle erleichtert an. ?Die Berufung erfolgte dann doch noch wie geplant?, erz?hlt er.

Was mit einer Zitterpartie begann, wuchs bald zu einer wechselseitig fruchtbaren Beziehung heran. Seit 27 Jahren lehrt und forscht Michael Kreuzer an der ETH Z¨¹rich zur nachhaltigen Ern?hrung von Nutztieren, vor allem von Wiederk?uern, Schwein und Gefl¨¹gel.

Sein Refugium sind die Einrichtungen der Forschungsplattform AgroVet-?Strickhof, die mit der Alp Weissenstein am Albula sogar einen H?henstandort umfasst. Diese Kooperation im Nutztierbereich zwischen ETH, Universit?t und Kanton Z¨¹rich wurde nach mehr als zehnj?hriger Planung 2017 er?ffnet. Kreuzer hatte sie mit initiiert und das Projekt eng begleitet. Herzst¨¹ck ist das Stoffwechselzentrum, in dem man die Verdauung und Energieverwertung von Nutztieren untersuchen kann.

Klimafreundlichere Rinder und K¨¹he

Kreuzer war einer der ersten Wissenschaftler, die sich ernsthaft mit der Frage befassten, wie man das klimasch?digende Methangas von Wiederk?uern senken kann. Bei Rindern, Schafen und Ziegen bauen Bakterien die Pflanzenfasern im Pansen ab. ?Dabei entsteht Wasserstoff, den das Tier entsorgen muss?, erkl?rt Kreuzer. Das ¨¹bernehmen methanogene Ur-Mikroben, in dem sie aus Wasserstoff und Kohlendioxid Methan herstellen, das Wiederk?uer ¨¹bers Maul ausstossen.

?Der Clou ist, die Methanbildner zu hemmen, ohne die Verdauung der Fasern zu unterbinden?, sagt Kreuzer. Er kennt in dieser Liga so ziemlich jeden Trick. Sein erster Versuch an der ETH war sein Schl¨¹sselmoment: Er entdeckte, dass Kokosfett das Methan um bis zu 70 Prozent senken kann. ?Damals war das ein echter Knaller?, schmunzelt er. F¨¹r die Praxis sei das jedoch nichts, weil Kokosfett aus den Tropen f¨¹r Schweizer K¨¹he keinen Sinn macht.

Seither hat seine Gruppe verschiedenste Massnahme zur Reduktion von Methan entwickelt. Dabei konzentrierten sie sich stets auf nat¨¹rliche Zus?tze bei Grasland-basierter F¨¹tterung, wie sie hierzulande typisch ist. ?Die Schweiz ist ein Grasland und braucht nur wenig zus?tzliches Kraftfutter?, ist er ¨¹berzeugt.

Zur Methansenkung haben sich Leinsamen bew?hrt, die nebenbei das Milchfett qualitativ verbessern, oder Haselbl?tter wegen der Tannine. Knoblauch hingegen brachte wenig und stank f¨¹rchterlich. Die Wirksamkeit testeten die Forschenden, in dem sie den Gasaustausch der Tiere in speziellen Respirationskammern analysierten.

Vom Aussenseiter zur Koryph?e

Kreuzers Forschung wurden anfangs wenig beachtet. Das ?nderte sich 2007 mit dem Bericht des Weltklimarats IPCC, der das Methanproblem der Nutztierhaltung ins ?ffentliche Bewusstsein r¨¹ckte. Seither wuchs das Interesse an seiner Arbeit kontinuierlich. Heute ist Kreuzer ein renommierter Fachmann f¨¹r klimaschonende F¨¹tterungssysteme und in den Medien ein gefragter Experte.

Das mediale Rampenlicht hat er aber nie gesucht. Kreuzer ist kein Mann der grossen Worte ¨C schon gar nicht, wenn es um ihn selbst geht. Daf¨¹r ist er zu bescheiden. Lieber ist er mit den Tieren oder schreibt wissenschaftliche Publikationen.

Dass K¨¹he in den Medien st?ndig als Klimakiller bezeichnet werden, findet er daneben: ?Nicht die Kuh ist das Problem, sondern der Mensch, der zu viele K¨¹he h?lt.? Heute wollten alle schnelle Antworten und einfache L?sungen, dabei m¨¹sse man die Probleme differenziert betrachten, sagt er.

Das Gesamtsystem im Blick

Kreuzer hat nicht nur Futterzus?tze im Kopf. Als Forscher interessieren ihn die vielf?ltigen Interaktionen zwischen Pflanze, ?Tier und ?Umwelt. So besch?ftigte er sich stets auch mit systemorientierten Fragen der Tierf¨¹tterung und Weltern?hrung. ?In vielen L?ndern will man Nutztieren mehr Kraftfutter geben, weil St?rke statt Faser den Methanausstoss senkt?, sagt er. Doch dann konkurrenziert die Tierf¨¹tterung direkt die menschliche Ern?hrung, was letztlich zu Hunger, ?berd¨¹ngung und Waldrodung f¨¹hrt. ?Es gibt keine einfachen L?sungen. Das zu vermitteln ist aber schwierig.?

Die Gruppe forscht deshalb an neuartigen F¨¹tterungssystemen. Etwa Insektenproteine, die mit Nahrungsmittelabf?llen produziert werden und als Soja-Ersatz f¨¹r die Ern?hrung von Gefl¨¹gel dienen. In j¨¹ngerer Zeit kamen ethisch motivierte Projekte hinzu: Beispiele sind das Zweinutzungshuhn und die Mast m?nnlicher K¨¹ken ¨C zwei Alternativen, um das fragw¨¹rdige T?ten der m?nnlichen Eintagsk¨¹ken in der Legehennenhaltung zu vermeiden. In vielen Studien ging es um das Tierwohl und die Qualit?t von Fleisch, Milch und Eiern.

Ein Thema, das ihm besonders am Herzen liegt, ist die Lebenszeit der Milchkuh. Eine Kuh braucht zwei bis drei Jahre, bis sie Milch produziert. Je l?nger sie lebt, desto weniger Methan-intensiv wird ihre Milch. ?Unsere K¨¹he leben aber immer k¨¹rzer?, konstatiert Kreuzer. Denn Kuhfleisch landet vor allem in Burgern. Die steigende Nachfrage der Burgerketten treibt den Kuhfleischpreis in die H?he und macht es f¨¹r Landwirte attraktiv, ihre Milchk¨¹he fr¨¹her zu schlachten. ?So ist es mit den Nutztieren ?hnlich wie mit elektronischen Gadgets ¨C man wechselt sie aus nach kurzer Zeit, obwohl sie noch gut funktionieren und ihre weitere Haltung die Umwelt schonen w¨¹rde?, bedauert Kreuzer.

Forscher mit freundschaftlichem F¨¹hrungsstil

Kreuzer hat an der Technischen Universit?t M¨¹nchen-Weihenstephan Agrarwissenschaften studiert und in Tierern?hrung promoviert. Von seinem Doktorvater hat er fachlich viel profitiert, litt aber unter dessen autorit?ren F¨¹hrungsstil. ?Damals nahm ich mir vor, es sp?ter einmal anders zu machen?, erinnert er sich.

Seinem Umfeld zufolge ist ihm das gelungen: Kreuzer gilt als ?usserst angenehmer Kollege, freundschaftlicher Partner und unterst¨¹tzender Chef, dem Bescheidenheit, Integrit?t und Respekt gegen¨¹ber anderen Menschen enorm wichtig sind.

An der letzten Fr¨¹hjahrstagung spielte Kreuzers Team ¨¹berraschend ein Video ein. Es enthielt Grussbotschaften von Mitarbeitenden, Kolleginnen und Partnern aus aller Welt, die ihm auf witzige Weise dankten. ?Diese Wertsch?tzung hat mich sehr ger¨¹hrt?, sagt Kreuzer. Es habe ihm best?tigt, dass sein freundschaftlicher Stil der richtige Weg war.

Was kommt, ist noch offen

Nun geht der Veteran der Methanverminderung in Pension. Seinem Nachfolger, Professor Mutian Niu, hinterl?sst er ein boomendes Forschungsfeld und motivierte Mitarbeitende. ?Die Nachfrage nach Kooperationen aus Industrie und Wissenschaft ist gerade so hoch wie nie?, so Kreuzer.

F¨¹r ihn beginnt nun eine ?bergangszeit: Seine Lieblingsvorlesung ¨¹ber die ?Qualit?t tierischer Produkte? wird er noch ein zwei Semester halten. Auch bei AgroVet-Strickhof wird er tageweise noch zu treffen sein. Spektakul?re Pl?ne habe er vorerst keine ¨C seine Frau arbeitet noch f¨¹nf Jahre lang. ?Dann schauen wir gemeinsam weiter?. Allenfalls wird er sich ein paar G?nse zutun. Oder H¨¹hner. Nur eines ist sicher: ?Wir bleiben in der Schweiz, denn hier ist unser Lebensmittelpunkt mit den zwei erwachsenen Kindern?.