Ist der blaue Planet im roten Bereich?
Wasserkrisen werden in Zukunft die gr?ssten Sch?den verursachen, vermutet ein aktueller Report über globale Risiken. Eine Gruppe Nachhaltigkeitsforscher argumentiert dagegen, dass die weltweiten Wasservorr?te noch nicht übernutzt sind. Wie kommen solch unterschiedliche Bewertungen zustande? Und weshalb definiert die UNO neue Wasserziele?
Verknappt sich trinkbares Wasser weltweit, so h?tte dies die gravierendsten Konsequenzen für die menschliche Gesundheit und die Wirtschaft. Zu diesem Befund kommt der diesj?hrige Risikobericht des World Economic Forum (WEF). Er basiert auf einer detaillierten Umfrage von fast 900 Forum-Teilnehmern zu den m?glichen Auswirkungen und zur Wahrscheinlichkeit von 28 globalen Risiken [1]. An zweiter und dritter Stelle in dieser Hitparade künftiger Katastrophen kommen sich schnell ausbreitende Infektionskrankheiten und der Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Die Wasserkrise erschien erstmals 2012 auf dem Radar der WEF-Gemeinschaft und bewegt sich seither jedes Jahr unter den drei globalen Risiken mit dem gr?ssten Schadenspotential.
Wasserverbrauch (offenbar) im grünen Bereich
Ein neuer Bericht zu den planetaren Grenzen der Erde (siehe dazu auch diesen Blogbeitrag) kommt dagegen zu ganz anderen Schlüssen [2]: Die Autoren untersuchten, welche aktuellen Umweltver?nderungen die Gefahr bergen, dass unser Planet in einen für uns ungünstigen Betriebszustand kippt. Sie identifizieren den Klimawandel, den Verlust an Biodiversit?t und die ver?nderten N?hrstoffkreisl?ufe von Phosphor und Stickstoff als gr?sste Risiken für das Raumschiff Erde, weil bei diesen Umweltver?nderungen die planetaren Grenzen bereits überschritten sind. Der globale Wasserverbrauch sei mit 2600 km3 pro Jahr noch deutlich von einer kritischen Schwelle entfernt. Als planetaren Grenzwert postulieren die Forschenden einen Verbrauch von etwa 4000 km3 pro Jahr. Dieser sei erst erreicht, wenn sich die globalen Abflüsse durch intensivere Bew?sserung in der Landwirtschaft und Verdunstung deutlich verringerten (Bew?sserung in der Landwirtschaft macht derzeit etwa 70 Prozent des Verbrauchs aus).
Die Grenzen der Debatte
Johan Rockstr?m, Koautor der Studie über planetare Grenzen, hat die Analyse am diesj?hrigen WEF-Symposium in Davos pr?sentiert. Falls sein Vortrag überzeugend war, k?nnen wir erwarten, dass die Wasserkrise im n?chsten Risikobericht des WEF um einige Pl?tze zurückf?llt. Der gr?sste methodische Mangel des Berichts liegt n?mlich in der Auswahl der Befragten: Fast 75 Prozent sind M?nner, über 50 Prozent stammen aus Europa und Nordamerika, und die meisten nehmen an WEF-Veranstaltungen teil. Die ver?ffentlichte Risiko-Wahrnehmung spiegelt deshalb die Weltsicht einer exklusiven Elite aus Wirtschaft und Politik. Bezüglich Wasserverbrauch ist der blaue Planet ist also (noch) nicht im roten Bereich.
Doch daraus zu schliessen, dass mit der Wasserversorgung alles in Ordnung ist, w?re weit gefehlt. Denn das naturwissenschaftlich inspirierte Konzept der globalen Grenzen hat drastische M?ngel, welche beim Thema Wasser deutlich zutage treten: Die rote Linie eines globalen Wasserverbrauchs von 4000 km3 pro Jahr (etwa 10 Prozent des Wassers, das j?hrlich von der Landoberfl?che der Erde ins Meer fliesst) blendet aus, was die Menschen krank macht: Schlechte Wasserqualit?t vor Ort – meist aufgrund fehlender sanit?rer Anlagen und Abwasserbehandlung.
Die prek?re Wasserversorgung auf der politischen Agenda
Mit einem ihrer Milleniumsziele wollte die UNO den Anteil der Weltbev?lkerung ohne Zugang zu sicherem Trinkwasser und sanit?rer Entsorgung bis zum Jahr 2015 halbieren [3]. Formell wurde das Trinkwasserziel schon 2012 erreicht, auch die F?kalentsorgung wurde verbessert, aber nur knapp 40 Prozent der Betroffenen haben nun Zugang zu sanit?ren Anlagen: Der Fokus auf die rein technische Installation von Trinkwasserbrunnen ohne weitere Qualit?tskontrolle hat dazu geführt, dass immer noch 1.8 Milliarden Menschen mit Wasser versorgt werden, das mit F?kalbakterien verschmutzt ist. Die neuen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), welche die UNO Ende September in New York verabschieden will [4], sollen deshalb weiter gehen: Bis 2030 soll die Trinkwasserqualit?t weltweit für alle verbessert werden. Dazu sollen 2.5 Milliarden Menschen endlich Zugang zu Toiletten erhalten. Der Anteil von unbehandeltem Abwasser, der heute etwa 80 Prozent ausmacht, soll halbiert werden. Die neueste Debatte im Wissenschaftsmagazin Science bringt die Herausforderung auf den Punkt: Die Wasser-Agenda der UNO ist global in ihrem Anspruch [5], sie kann jedoch nur auf lokaler Ebene umgesetzt werden [6]. Wenn dies gelingt, kann die Wasserkrise im Jahr 2030 aus dem ?Global Risks Report? des WEF gestrichen werden.
Weiterführende Informationen
[1] WEF, The externe Seite Global Risks Report 2015
[2] W. Steffen et al. (2015) Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planetScience, 347, 736 externe Seite Link
[3] SIWI, Stockholm International Water Institute (2015) Water for Development – Charting a Water Wise Path externe Seite Link
[4] Der externe Seite Sustainable Development Summit der UNO
[5] C.J. V?r?smarty et al. (2015) Fresh water goes global. Science, 349, 478 externe Seite Link
[6] J. G. Hering et al. (2015) Local perspectives on water. Science 349, 479. externe Seite Link