Studierende auf die Zukunft vorbereiten

Wenn es nach Harvard-Professor Eric Mazur geht, hat das traditionelle Vorlesungsmodell ¨C der Dozent referiert, die Studierenden h?ren passiv zu ¨C ausgedient. Er geht die Lehre anders an: Der Physik-Professor hat eigene Methoden entwickelt, um das Lernen interaktiver und effizienter zu gestalten und so Genderdifferenzen auszugleichen. Davon konnten nun auch ETH-Angeh?rige profitieren: Ende November hielt Eric Mazur an der ETH Z¨¹rich im Rahmen einer Equal!-Veranstaltung die Rede ?Pr¨¹fungen ¨C der lautlose Killer des Lernens?  sowie zwei Workshops zum Thema.

W?hrend vielen Jahren hat Eric Mazur Daten seiner Studierenden gesammelt, auch aus Zeiten, in denen er selbst noch traditionell gelehrt hat. Eine seiner Erkenntnisse: Zu Beginn des Physikstudiums haben Frauen generell ein statistisch signifikant schlechteres Vorwissen als M?nner. Und das unabh?ngig davon, ob sie in der High School gar keine Physikstunden oder sogar einen Leistungskurs besucht hatten.

So holen Frauen auf

?Wir k?nnen diese Kluft ausgleichen, indem wir uns der Lehre auf andere Art und Weise n?hern. Frauen profitieren von verbaler Interaktivit?t und einer nicht-kompetitiven, gemeinschaftlichen Atmosph?re. Doch gerade in wissenschaftlichen F?chern herrscht oft ein intensiver Konkurrenzkampf.?

Statt also in den Vorlesungen das zu wiederholen, was die Studierenden ohnehin in seinem Lehrbuch lesen k?nnen, wendet Eric Mazur das von ihm entwickelte Prinzip der ?Peer Instruction? an: Vor jeder Veranstaltung gibt er den Studierenden Leseauftr?ge. Am Anfang der Stunde stellt er konzeptionelle Fragen, die das Verstehen des Stoffs testen, und gibt den Studierenden etwa eine Minute Zeit, eine Antwort auszuw?hlen ¨C dies kann durch Handheben, K?rtchen oder ein elektronisches Wahlsystem geschehen.

Nachdem die Studierenden ihre Antworten festgehalten haben, sollen sie ihre Sitznachbarn von ihrer Antwort ¨¹berzeugen. Dann w?hlen sie wieder ein Antwort aus. Das Resultat: Die Anzahl derer, welche die korrekte Antwort w?hlen, steigt nach der Diskussion immer an, was den Schluss nahelegt, dass die Studierenden sich erfolgreich gegenseitig lehren. ?Man lernt am meisten, indem man andere lehrt?, sagt Eric Mazur.

Im Laufe des Kurses steigen die Leistungen der Frauen auf das Niveau der M?nner ¨C letztere profitieren von den interaktiven Methoden im ?brigen auch, doch nicht so sehr wie die Frauen. ?Die Frauen profitieren von diesem System mehr als die M?nner, aber nicht auf deren Kosten?, sagt Eric Mazur. ?Wir behandeln das Lernen viel zu sehr als eine individuelle T?tigkeit. Dabei h?rt man nach dem Diplom nicht auf zu lernen und wird im weiteren Leben und im Beruf nie mehr in Isolation lernen. Lernen ist eine soziale Erfahrung.?

Gleichgeschlechtliche Teams am schw?chsten

Deshalb bildet Eric Mazur auch gerne Teams, die jeweils einen Monat lang an einem Projekt arbeiten. Dort erlernen sie die Physik anhand der Praxis. Ein Vorteil: Die Studierenden ¨¹berwachen sich gegenseitig, so dass kaum mehr geschummelt wird. ?Sie versp¨¹ren gegen¨¹ber ihren Kollegen eine soziale Verantwortung. Das ist die st?rkere Kraft als das schlechte Gewissen dem Professor gegen¨¹ber?, sagt Eric Mazur. ?Die Anwesenheitsrate in diesen Kursen ist auf 97 Prozent gestiegen. Die Studenten kommen sogar, wenn sie krank sind! Das zeigt doch: Lernen kann Spass machen.?

Die Zusammensetzung der F¨¹nferteams nimmt Eric Mazur selber vor ¨C ?denn auch im Berufsleben kann man sich sein Team nicht selber aussuchen.? Seine Kriterien sind unter anderem Geschlecht, Vorwissen und Charaktereigenschaften wie ob die Person eher dominant oder zur¨¹ckhaltend ist.

?Die Vielfalt ist wichtig. Unterschiedliche Perspektiven f¨¹hren dazu, dass die Studierenden neue Zusammenh?nge erkennen.? Doch der allerwichtigste Faktor: ?Das Geschlecht korreliert am st?rksten mit dem Erfolg eines Teams. Ich habe herausgefunden, dass rein m?nnliche und rein weibliche Teams am schlechtesten abschneiden von allen. Das hat mich verbl¨¹fft.?

Unzureichende Pr¨¹fungen

Eric Mazur befasst sich nicht nur mit Lehr- sondern auch mit Pr¨¹fungsmethoden. ?Studierende lernen oft nur, um die Pr¨¹fung zu bestehen und vergessen den Stoff danach wieder.? Dabei gehe es doch nicht darum, sich an Informationen zu erinnern, sondern darum zu wissen, wo man die Informationen finde. Deshalb erlaube er seinen Studierenden, in den Pr¨¹fungen B¨¹cher und sogar das Internet zu benutzen. ?Denn wenn ich selbst eine Arbeit schreibe, weiss ich doch auch nicht alles auswendig, sondern verwende ebenso Hilfsmittel.?

Leider seien die M?glichkeiten, die Studierenden zu bewerten, sehr limitiert. Dabei k?nne eine Note den F?higkeiten eines Menschen keinen Ausdruck verleihen. ?Kreativit?t, wissenschaftliches Denken, Einfallsreichtum¡­das kann man mit Noten nicht messen.? Zudem w¨¹rde nicht gepr¨¹ft, worauf es im Leben wirklich ankomme ¨C wie die F?higkeit, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten oder zu kommunizieren.

Eric Mazur bewertet seine Studierenden deshalb aufgrund eines komplexen Systems, das auf vier Komponenten beruht: Die F?higkeit, selbst?ndig zu lernen; Teamarbeit; das Erreichen der Lernziele; sowie Professionalit?t, was wiederum P¨¹nktlichkeit, Mitarbeit und Ethik beinhaltet. ?Doch leider verlangt Harvard die herk?mmlichen Benotung ¨C deshalb muss ich all diese Faktoren am Schluss doch in eine Note zusammenfassen.?

Von der Idee, genderspezifische Pr¨¹fungen einzuf¨¹hren, h?lt er aber wenig: ?Unterschiedliche Tests f¨¹r Frauen und M?nner zu machen, w?re schrecklich und w¨¹rde nur zu Spannungen f¨¹hren. Das Problem besteht auf der Input-Seite, nicht auf der des Outputs. Die gute Nachricht ist, dass wir die Unterschiede auf der Input-Seite durch Interaktivit?t und Kollaborationen im H?rsaal ausgleichen k?nnen.?